Altn Osmanhamdibey Lesender Ausschnitt Minimum

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Nicht zeitgemäß

Ein bärtiger Mann mit markanten Gesichtszügen, in ein auffällig gelbes seidenes Gewand gekleidet, liest in einer Handschrift. Auf einem Teppich stehend, lehnt er sich an einen mit Perlmutteinlagen besetzten Korankasten vor einer Brunnennische. Der Leser ist jedoch nicht etwa zeitgemäß gekleidet: Der türkische oder arabische Osmane trägt um die Jahrhundertwende längst Anzug und Fez, eine Kopfbedeckung in Form eines stumpfen Kegels.

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Mode des Orients

Indem Hamdi Bey seine Modelle oftmals in orientalisierter Tracht statt in zeitgenössisch üblicher Kleidung darstellt, leistet er einen Beitrag zur Bestimmung lokaler Tradition in der osmanischen Moderne.1873 veröffentlicht er, der in Paris Jura und Malerei studiert hat, „Les Costumes populaires de la Turquie“ – Die Volkstrachten der Türkei. Fotografien von sich oder seinen Modellen in historischen Kostümen dienen dem Künstler gelegentlich als malerische Vorlagen.

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Historisches Collage

Das delikat und feinmalerisch ausgeführte Bild offenbart sich als andeutungsreiche Collage aus der osmanischen Vergangenheit. So stammt der goldene Krug aus dem 18. Jahrhundert und die Brunnennische aus dem 16. Jahrhundert. Die Vorlage für den Brunnen findet sich im ältesten osmanischen Gebäude Istanbuls, im Çinili Köşk aus dem Jahr 1472. Es ist Teil des Kaiserlichen Antikenmuseums, dessen Direktor Osman Hamdi Bey war.

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Berühmter Archäologe

Der Maler dieses Werks ist für die Herausbildung der türkischen Archäologie und Museumslandschaft von kaum zu überschätzender Bedeutung – weit mehr als für die türkische Malerei, denn als Künstler ist er französisch geprägt und bringt seine Werke nach 1882 auch nicht mehr in der Türkei zur Ausstellung. Heute jedoch gilt Osman Hamdi Bey als einer der berühmtesten türkischen Maler seiner Zeit.

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Ankauf mit Hintergedanken

Mehrere Werke von Osman Hamdi Bey aus der Sammlung der Nationalgalerie werden nicht nur mit dem Wunsch angekauft, den Maler zu ehren, sondern um ihn zugleich für beantragte archäologische Grabungs- und Ausfuhrlizenzen gnädig zu stimmen. Denn als Archäologe und Begründer des ersten türkischen Kulturgüterschutzgesetzes entscheidet der Künstler über derartige Genehmigungen. Neben dem „Wunderbrunnen“ gehört auch seine „Türkische Straßenszene“ zur Sammlung der Nationalgalerie.

Osman Hamdi Bey (1842 – 1910)

Der Wunderbrunnen, 1904

Imposante Größe

Das großformatige Gemälde wird in der aktuellen Sammlungspräsentation im imposanten Foyer der Alten Nationalgalerie ausgestellt und weist darauf hin, dass dieses Museum von seiner Gründung an der deutschen Kunst im internationalen Kontext gewidmet war.