Öl auf Leinwand
83,8 x 129,6 cm
© Hamburger Kunsthalle / Foto: Elke Walford
Mädchen auf der Brücke, 1901
In Gedanken versunken
Was geht wohl in dem Mädchen in der ersten Reihe vor? Als einzige wendet sie sich dem Betrachter zu und zieht damit alle Aufmerksamkeit auf sich. An die Brüstung gelehnt, ihren rechten Arm aufgestützt, blickt sie zu einem uns unbekannten Punkt außerhalb des Bildes. Ihren hellen Strohhut hält sie gedankenverloren vor sich. Fast scheint er zu schweben, so leicht wirkt er. Ein wenig Sehnsucht schwelgt in dem Blick des Mädchens mit.
Mädchen auf der Brücke, 1901
Allein unter Menschen
Das weiß gekleidete Mädchen mit dem langen blonden Haar ist nicht allein. Unmittelbar neben ihr stehen zwei weitere junge Frauen. Die drei könnten Freundinnen sein und doch wirkt jede merkwürdig isoliert. Die eine trägt ein signalrotes, die andere ein dezent grünes Gewand. Munch zeigt mit dieser Farbsymbolik alle Facetten der Weiblichkeit zwischen unschuldiger Reinheit, erotischer Verführung und weiblicher Naturverbundenheit. Die Rolle der Frau wird zur Entstehungszeit des Bildes vielfach diskutiert. Munch ist einerseits von Frauen fasziniert, andererseits fürchtet er sich vor der Verführungskraft der „Femme Fatale“.
Mädchen auf der Brücke, 1901
Zwischen Kindheit und Erwachsensein
Wie auch in Munchs berühmter Werkgruppe „Der Schrei“ stehen diese Mädchen auf einer Brücke. Das eine Ende scheint in weiter Ferne, das andere liegt außerhalb des Bildes. Die Brücke signalisiert den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein. „Mädchen auf der Brücke“ ist ein Motiv, dem sich der norwegische Maler Edvard Munch über Jahrzehnte hinweg immer wieder widmet. Mal steht die Landschaft im Mittelpunkt, mal die Personen.
Mädchen auf der Brücke, 1901
Wasser als Projektionsfläche
Eine dunkle, massige Form dominiert die Wasseroberfläche. Sie fächert sich in Richtung der Brücke in kleine Arme und Äste aus. Der Baum, der fest und stabil am Ufer verwurzelt scheint, ist hier nur als Spiegelung zu sehen. Dieses Spannungsverhältnis entspricht der Gefühlswelt der Figuren. Nicht mehr Mädchen und noch nicht Frau, erleben sie den Prozess des Erwachsenwerdens.
Mädchen auf der Brücke, 1901
Sogwirkung
Beim Bildmotiv handelt es sich um den Fähranleger in Åsgårdstrand. Munch verbringt dort regelmäßig den Sommer und erwirbt 1898 ein Fischerhaus in dem beliebten Badeort. So hat er eine ähnliche Szene wahrscheinlich selbst beobachten können. Die Realitätsnähe der Darstellung vermengt sich mit dem Innenleben der Mädchen. In den für Munch so prägenden, fließenden Pinselstrichen drückt sich der unaufhaltsame Prozess des Übergangs zwischen Kind und Frau aus. Gleichermaßen zieht die steile Perspektive der Brücke sogartig ins Innere des Bildes und in die Lebenswirklichkeit der Dargestellten. Die Szene wird so zu einer Überlagerung von Erinnerung, Traum, und Sehnsucht – das Bild einer Seelenlandschaft.