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Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Das Mädchen Fränzi

Lina Franziska Fehrmann, genannt Fränzi, ist zur Entstehungszeit des Gemäldes circa elf Jahre alt. Sie stand bereits im Alter von acht Jahren in Kontakt mit den Brücke-Künstlern und lebte zeitweise bei ihnen. Die kunsthistorische Forschung hat Fränzi lange Zeit fälschlicherweise als „Artistentochter“ bezeichnet. Als Tochter der Hutmacherin Alma Clementine Fehrmann kam sie wahrscheinlich durch Doris Große, genannt Dodo, zu den Brücke-Künstlern. Die Geliebte Kirchners war ebenfalls Hutmacherin in Dresden und auch sie stand dem Maler häufig Modell.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Die Faszination des Unbefangenen

Ernst Ludwig Kirchner zeichnete oder malte das Mädchen Fränzi in verschiedenen Haltungen, zum Teil nackt und immer wieder in erotisch aufgeladenen Posen. Offensichtlich war er fasziniert von ihrer frühpubertären Körperlichkeit. In ihrem frühpubertären Habitus sahen die Brücke-Künstler einen natürlichen Zustand freier Bewegung und Unbefangenheit. Kirchner malte die 11-Jährige mit stark roten Lippen und entblößtem Knie. Für sexuelle Belästigung gegenüber dem Kindermodell gibt es bis heute keine Belege. Der Umgang von Künstlern mit minderjährigen Modellen in der Kunst und im Leben sowie die Frage eines möglichen Missbrauchs lösen aber immer wieder, insbesondere bei der #metoo-Debatee, Diskussionen aus.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Faszination des Fremden

In Dresden besuchte Ernst Ludwig Kirchner gerne das damalige Völkerkundemuseum. Wie die anderen Brücke-Künstler inspirierten ihn die Masken, Figuren und exotischen Objekte. Als expressionistischer Künstler faszinierte ihn die Einfachheit und Natürlichkeit der fremden Formensprache. Zu ihr wollten die Expressionisten zurückfinden. Während die Welt Anfang des 20. Jahrhunderts schnelllebiger und industrieller wurde, stieg die Sehnsucht nach der Natur und nach ursprünglichen Lebensformen. Die kolonialistische Ausbeutung der außereuropäischen Kultur wurde dabei weitgehend übersehen.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Nackt, wild und frei

Das Muster des Wandteppichs im Hintergrund zeigt ein nacktes Frauenpaar. Außereuropäische Kulturen dienten Kirchner wie den übrigen Brücke-Künstlern als Projektionsfläche für sexuelle Wünsche, da man vermutete, dass die Menschen dort frei seien von gesellschaftlichen Zwängen. Das Motiv stammt von bemalten Stoffbahnen, mit denen Ernst Ludwig Kirchner das Atelier in der Berliner Straße 80 in Dresden ausgestattet hatte. Er integrierte also den Entstehungsort, das Dresdener Atelier, in das Gemälde selbst.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Zwei Meisterwerke auf einer Leinwand

Bemerkenswert an diesem Werk ist nicht nur die Vorder-, sondern auch die Rückseite. Hier befindet sich nämlich ein weiteres Gemälde: "Weiblicher Akt im Tub" (um 1911), ein Bild, das eine badende Frau mit einem exotischen Beistelltisch zeigt. Ernst Ludwig Kirchner bemalte etwa 10 Prozent seiner Leinwände jeweils beidseitig. Dies war für Künstler seiner Zeit keine Seltenheit, denn schließlich waren Leinwände teuer.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Fränzi, ca. 1911

Starke Kontraste

Mit seinen kräftigen Farben, schwarzen Konturen und starken Farbkontrasten ist dieses Gemälde typisch für den Expressionismus. Leuchtendes Königsblau trifft auf Zinnoberrot und Ockergelb, wobei die Farben teilweise ihre schwarze Umgrenzung übertreten. Die Einteilung in voneinander abgegrenzte Flächen vereinfacht den Bildaufbau und sorgt für eine geringe Tiefenwirkung. Fränzis asiatisch anmutendes Kleid sowie die ornamentale Gestaltung des Wandteppichs im Hintergrund ermöglichen eine nahezu geometrische Bildaufteilung.