Moh Ellissitzky Proun93 Ausschnitt Minimum

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Im Versteck überdauert

Einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg machen Mitarbeiter des Kunstmuseums eine überraschende Entdeckung: hinter einer Wandverschalung in der Grafischen Sammlung kommen mehrere Gemälde und grafische Arbeiten des russischen Künstlers El Lissitzky zum Vorschein. Zu diesem überraschenden Fund gehört auch „Proun 93 (Konischer)“: eines der schönsten Beispiele des künstlerischen Konzeptes El Lissitzkys.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Heimlich versteckt

Zusammen mit El Lissitzkys Werken werden auch einige von Lyonel Feininger und Wassily Kandinsky versteckt. So entgehen sie 1937 der nationalsozialistischen Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“. Bis heute ist nicht bekannt, wer sie hinter der Wandverschalung verbarg. Auf jeden Fall muss es heimlich geschehen sein, denn in den Museumsunterlagen ist nichts vermerkt. Wahrscheinlich ist es dem Mut eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin zu verdanken, dass die Bilder heute noch im Bestand des Museums sind.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Mutige Sammlungspolitik

Der nationalsozialistische Bildersturm richtet sich gegen jene deutschen Museen, die es sich in der Weimarer Republik zur Aufgabe machten, zeitgenössische Kunst zu sammeln. Kunstwerke, die auf ganz unterschiedliche Weise die Umwelt nicht mehr in ihrer naturalistischen Ansicht wiedergeben, sondern nach neuen Formen des Ausdrucks suchen, sind den Nazis suspekt. Als „entartet“ gelten Werke des Expressionismus, Futurismus, Kubismus, Surrealismus, Dadaismus, der Neuen Sachlichkeit und der Abstraktion – aus der Kunst der klassische Moderne heute nicht wegzudenken. In Halle legt schon der erste Direktor des Kunstmuseums, Max Sauerlandt (1880 – 1934), den Grundstein für eine hervorragende Sammlung der Moderne.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Zeit für Avantgarde

Ab 1926 leitet Alois J. Schardt (1889 – 1955) das hallesche Museum. Er setzt den Aufbau der zeitgenössischen Sammlung fort und erwirbt Kunst der Avantgarde – abstrakte Werke von Paul Klee, Wassily Kandinsky und mehrere Gemälde und Arbeiten von El Lissitzky. Sie sind Lehrer am Bauhaus im nahen Dessau oder verkehren dort. Schardt ist sicher in seiner Berliner Zeit Anfang der 1920er Jahren auf den russischen Maler und Architekten aufmerksam geworden, denn dort sind damals Werke El Lissitzkys in einigen Ausstellungen zu sehen. Schon 1924, als Leiter der Neuen Galerie im Festspielhaus in Hellerau bei Dresden, präsentiert Schardt Leihgaben der modernen Kunst, die „aus der noch umstrittenen Kunst das unbedingt Wertvolle“ zeigen sollen. Einen eigenen Raum widmet er den Konstruktivisten El Lissitzky und László Moholy-Nagy. Hier hängt auch „Proun 93 (Konischer)“.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Räumliches Denken

Der junge Architekt und Maler Lissitzky begegnet 1919 Kasimir Malewitsch. Dieser hat 1915 mit dem „Schwarzen Quadrat auf weißem Grund“ eine Ikone der gegenstandslosen Malerei geschaffen, die er kontinuierlich weiterentwickelt und zu einem Konzept abstrakter Kunst ausarbeitet, dem Suprematismus: die völlige Befreiung der Kunst vom Gegenstand, die Überwindung der bisherigen Malerei. Als Schüler von Malewitsch verfolgt El Lissitzky in seinen Proun-Arbeiten die Entwicklung des Suprematismus zum Räumlichen hin. Er hat als ausgebildeter Architekt ein genaues räumliches Vorstellungsvermögen.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Von der Malerei zur Architektur

„Proun“ nennt der Künstler seine Werkreihe, deren Bilder er durchgehend nummeriert. Der Titel leitet sich aus den Anfangsbuchstaben der russischen Worte „PROyect Utverzhdenia Novogo“ ab, was mit „Projekt für die Behauptung des Neuen“ zu übersetzen ist. Für Lissitzky ist sein Projekt eine Etappe auf dem Weg zum Aufbau einer neuen Gestaltung, als „Umsteigestationen von der Malerei zur Architektur“, wie er selbst 1920 schreibt. Dieses neue künstlerische Denken versteht Lissitzky auch als Beitrag zum Aufbau und zur Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft in der jungen Sowjetunion.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Unendlicher Raum

Mehrere geometrische Formen komponiert der Künstler auf einer Grundfläche, flächige Formen, die sich überraschend zu dreidimensional erscheinenden Elementen entwickeln. Es entsteht der Eindruck eines Raums, der nicht auf eine einheitliche Perspektive beschränkt ist. Der Raum des Bildes, in dem die Elemente schweben und sich in ihren verschiedenartigen Perspektiven verschränken, wird in die Unendlichkeit geöffnet. Lissitzky will sein Werk nicht als Gemälde verstanden wissen, sondern als „ein[en] Bau, den man umkreisend von allen Seiten betrachten muss, von oben beschauen, von unten untersuchen […]. Umkreisend schrauben wir uns in den Raum hinein.“

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Ein Kegel im Raum

Die schwarzen Kreise lassen beim Betrachten eine regelrechte Sogwirkung entstehen. Mal wirken sie wie ein Kegel, der, aus der Untersicht betrachtet, seine Spitze in die Tiefe des Bildes bohrt, mal wie einer, dessen Spitze aus dem Bild herausdrängt. Das Gefühl der Schwerelosigkeit der beiden aneinandergekoppelten Elemente im Raum wird dadurch gesteigert, dass sie sich innerhalb eines hellen Kreises befinden, der wiederum auf einem dunkleren Quadrat liegt. Etwas Unbestimmtes geht von dem Bild aus: es ist radikal modern.

El Lissitzky (1890 – 1941)

Proun 93 (Konischer), um 1923

Reine Abstraktion

Den damaligen Direktor des halleschen Museums, Alois J. Schardt, interessiert an dieser Malerei die Abstraktion, ein Thema, dem er sich von Werken der mittelalterlichen Kunst bis hin zu den modernen, die er für die Sammlung erwirbt, theoretisch und in populären Vorträgen für das hallesche Publikum widmet. Er sieht schon damals die besondere Leistung des Künstlers, der auf die gegenständliche Darstellung verzichtet und auch keine erzählerischen Inhalte transportiert.