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Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Porträt oder Bildnis?

Während ein Porträt meist nur ein Brustbild der dargestellten Person zeigt, geht das Bildnis weiter und bildet auch die Statur, Hände und andere Details ab. Das Gemälde der Marie Henneberg steht am Anfang einer neuen Bildnisauffassung des Künstlers: Der Fokus liegt auf dem Gesicht, den Händen und der Kleidung der Dargestellten. Alle anderen Bildelemente sind nur ansatzweise ausgearbeitet und fließen nahezu ineinander.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Seltenheit

Nur vier Gemälde von Gustav Klimt befinden sich in deutschen Sammlungen: Mit der 1905 entstandenen Ganzkörperdarstellung der Margaret Stonborough-Wittgenstein bewahrt die Münchner Neue Pinakothek ein weiteres Damenbildnis. Ebendort wurde bereits 1901 das dem Symbolismus verhaftete Gemälde „Die Musik“ aus dem Jahr 1895 angekauft. Das Landschaftsgemälde „Buchenwald“ gehört zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und wurde 2018 im Rahmen der Klimt-Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg Haale (Saale) präsentiert.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Dame der Gesellschaft

Marie Henneberg (1851 – 1931) ist die Gattin des Naturwissenschaftlers Hugo Henneberg (1863 – 1918). Beide gehören der gehobenen Wiener Gesellschaft an, welche den zeitgenössischen Künsten aufgeschlossen gegenübersteht und sie fördert. Hugo Henneberg macht selbst als Grafiker und Fotograf von sich reden.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Große Fürstin

Hugo Henneberg arbeitet mit einem fotografischen Edeldruckverfahren, dem Gummidruck, und stellt 1902 einige Werke in der XIII. Ausstellung der Wiener Secession aus. Dort hängen sie unweit des Bildnisses seiner Gattin Marie, das Klimt erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Entspannt sitzend und mit konzentriertem Blick ist Marie Henneberg „als Fürstin und gleichzeitig fest im Leben verwurzelt“ verewigt, wie der langjährige Leiter der Gemäldesammlung des Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) , Wolfgang Büche, im Katalog zur großen Klimt-Ausstellung 2018 schreibt.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Sessel in der Schwebe

Erst bei genauerem Hinsehen ist der Sessel, auf dem die Porträtierte sitzt, auszumachen. Stellenweise scheint er mit dem Bildhintergrund zu verschmelzen. Mit vielen kleinen, fast ausschließlich vertikal gezogenen Pinselstrichen und einer eng begrenzten Farbpalette von Braun-, Grau- und Violetttönen verbinden sich Möbelstück und Hintergrund zu einer Art Farbfläche, die das Hauptmotiv, die Dame der Gesellschaft, umfasst, ohne von ihm abzulenken.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Starker Charakter

Deutlich akribischer gibt Klimt die individuellen Züge der Dargestellten wieder: Gesicht, Hände und Teile des Rüschenkleides hat er detailreich mit unterschiedlichen Pinseln herausgearbeitet. Die Pinselstriche setzt er sowohl horizontal wie vertikal, die Farben setzen sich klar voneinander ab. Es entsteht der Gesamteindruck einer Frau, die sich ihrer selbst, ihrer sozialen Stellung, sehr bewusst ist - ein starker Charakter!

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Zahlreiche Zeichnungen

Gustav Klimt entwirft meist zahlreiche Studien mit Bleistift auf Papier, bevor er ein Bildnis in Öl umsetzt. Keine der noch erhaltenen neun Studien für das Gemälde der Marie Henneberg entspricht vollständig dem Gemälde: In einer der skizzenhaft angelegten Zeichnungen ist sie nahezu frontal zu sehen, in einer anderen wählt Klimt das Querformat und stellt die Porträtierte im Profil auf einem nach links gedrehten Sessel dar. Die unterschiedlichen Zeichnungen verdeutlichen, wie der Maler sich an die Komposition des Gemäldes herantastet. Vier der Studien zum Porträt der Marie Henneberg befinden sich in der Sammlung des Museums.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Fehlende Füße

Klimt bedient sich zeitweise eines quadratischen Formats für seine Porträts, legt sich jedoch nie darauf fest. Ebenso wie er die Porträtierten mal stehend, mal sitzend festhält, variiert der Künstler das Bildformat und passt es an die jeweilige Darstellung an. Auch für seine gut 50 ohne Auftrag geschaffenen Landschaftsgemälde nutzt er immer wieder einen quadratischen Bildträger. Seine Landschaften sind stets ausschnitthaft und nicht auf ein Hauptmotiv fokussiert. Marie Henneberg ist hier ebenfalls nicht vollständig dargestellt: Klimt konzentriert sich auf ihr Gesicht und ihre Hände – die Füße befinden sich gar außerhalb der Bildfläche.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Teil eines Ganzen

Das Gemälde der Hausherrin hing einst über einem Kamin in der Eingangshalle der von Josef Hoffmann entworfenen und 1901 fertiggestellten Villa Henneberg auf der Hohen Warte in Wien. Hoffmann baut nicht nur ein Haus, er möchte ein Gesamtkunstwerk im Zusammenspiel von Architektur, Mobiliar, Dekor und Kunstwerken schaffen. 1918 stirbt Hugo Henneberg, und seine Frau muss sich von der Villa, von Einrichtungsgegenständen und Kunstwerken trennen. Sie verkauft ihr Bild in den 1920er Jahren an den Leipziger Juristen, Musiker und Verleger Max Kuhn. Dieser vererbt es 1947 seiner Schwägerin, die das Gemälde 1966 als Leihgabe an das Museum in der Moritzburg gibt. 1979 wird es aus dem Nachlass der Besitzerin für die Sammlung erworben.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Auftragskunst für die Oberschicht

Das kostbare wallende Rüschenkleid, zwei funkelnde Armbänder, Ohrringe und Brosche sowie die angesteckten Veilchen verdeutlichen, dass Marie Henneberg zur Oberschicht gehört. Klimt, der selten etwas anderes als einen von ihm selbst entworfenen, bodenlangen, blauen Malerkittel trägt, fühlt sich nicht zu dieser Gesellschaftsschicht hingezogen. Er ist sich aber sehr wohl bewusst, dass die Aufträge der vermögenden Oberschicht seine Haupteinnahmequelle bilden und ihm ermöglichen, sich auch der freien Kunst zu widmen.

Gustav Klimt (1862 – 1918)

Bildnis Marie Henneberg, 1901/02

Private Aufträge

Ab 1907 kann Klimt seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch private Aufträge finanzieren. Meist handelt es sich um Porträtaufträge aus der Wiener High Society. Zuvor lebt er von Aufträgen aus öffentlicher Hand: Beispielsweise gestaltet er von 1886 bis 1888 die Decke des neuen Wiener Burgtheaters und 1890/1891 die des Treppenhauses im Kunsthistorischen Museum.