
Vergrößerung/vintage print, Silbergelatine
333 x 228 mm
Copyright Werk: Helga Paris
Copyright Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Dokumentarische Fotoserie
In den Jahren 1983 bis 1985 dokumentiert Helga Paris in mehr als hundert Fotografien die verfallende Architektur in Halle (Saale), ihre Bewohnerinnen und Bewohner. In symbolgeladenen, feinfühligen Bildern entsteht eine künstlerische Dokumentation voll Poesie und architektonischer Tristesse, die Paris als Meisterin der Kamera auszeichnet.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Staunen über das Alltägliche
„Ich habe Halle fotografiert, wie eine fremde Stadt in einem fremden Land – versucht, alles, was ich wissen und verstehen könnte, zu vergessen. So, als hätte ich beispielsweise Rom fotografiert“, schreibt die Berlinerin Helga Paris. Besonders anschaulich wird das Staunen über das Alltägliche in diesem einprägsamen Bildnis einer Rentnerin.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Mona Lisa der DDR
Die übergroße Fasanenfeder und der Hut erinnern an Bilder des belgischen Malers des Surrealismus, René Magritte (1898 – 1967). Mit dem halben, zart-humorvollen Lächeln, das über ihre Lippen gleitet, erscheint die alte Dame wie eine Mona Lisa der DDR: geheimnisvoll, authentisch, rätselhaft poetisch und zugleich fest verortet in das sie umgebende Straßenbild des real existierenden Sozialismus.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Industriestadt Halle
In den 1980er Jahren ist die Region Bitterfeld-Halle der größte Industriestandort der DDR. Die chemische Industrie und ihre Abgase prägen das Stadtbild. Jahrzehntelang wird nichts saniert. Der Stadtkern mit seiner historisch gewachsenen Altbausubstanz vom Mittelalter bis in die Gründerzeit ist nahezu flächendeckend in desaströsem Zustand. Paris fängt diesen Zustand im Bildhintergrund ein.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Ruinöse Stadt
Statt Sanierung planen die Verantwortlichen in den 1980er Jahren großflächige Abrissarbeiten, die jedoch glücklicherweise nicht in Gänze umgesetzt werden. In den Außenbezirken prägen bereits neue Betonbauten das Panorama. Ihre Tochter studiert in Halle, und so fotografiert Helga Paris ohne politisches Ansinnen, doch voller Faszination die „Gewaltigkeit der ruinösen Stadt“, wie es die Kulturwissenschaftlerin Asta Richter beschreibt: bröckelnde Straßenzüge, verfallene Stadtvillen und über allem immer ein grauer Abgas-Schleier.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
„Diva in Grau“
Für Künstler ist das über der Stadt liegende Grau der Industrieabgase eine Inspirationsquelle zwischen morbidem Charme und schwieriger Lebenswirklichkeit. „Die Luft schmelzend vor grauviolettem Granit“, vermerkt der Lyriker Heinz Czechowski (1935 – 2009). Und der Verleger, Architekt und Autor Jörg Kowalski (*1952 in Halle) dichtet: „Wo ich wohne / tragen die Häuser Farben / sanften Verfalls“. Halle wirke wie eine „Diva in Grau“, schreibt der Schriftsteller Detlef Opitz über das Werk von Helga Paris – wie eine Diva in Grau wirkt auch die abgebildete ältere Dame.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Ausstellungsverbot
Paris‘ Bilder faszinieren, gefallen aber nicht jedem – sie sind zu ehrlich, zu weit vom staatlich gewünschten Bild der geplanten sozialistischen Vorzeigestadt entfernt. „Auf Empfehlung der Stadtväter“ wird die für 1986 in der Galerie Marktschlösschen in Halle geplante Ausstellung abgesagt. Der Katalog ist schon gedruckt, Unmut und Unverständnis machen sich breit. 1987 gibt es einen neuen Vorstoß, doch auch diese Ausstellung wird von der SED-Bezirksleitung verboten. Erst im Januar 1990, mitten in den Turbulenzen der Wendezeit, kommt es zu der lang geplanten Ausstellung – ein fulminanter Erfolg.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Einfühlsame Porträts
„[I]n den Gesichtern, die uns Helga Paris überliefert hat, sehe ich Kraft, Trotz und Lebenswillen, ja zuweilen auch Lebensfreude und Hoffnung, Eigenschaften, die zu einer Veränderung fähig gemacht haben“, schreibt der Kurator, Bühnenbildner und Grafikdesigner Helmut Brade (*1937).
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Nah an den Menschen
Das Porträt der Frau mit Feder und Hut zeigt das ehrliche Interesse am Menschen und die Fähigkeit, in einfühlsamen, offenen Bildnissen einen authentischen Ausdruck einzufangen. In allen ihren Werken gelingt es Helga Paris diese Stimmungen abzubilden. In mehr als 20 Serien und vielen Einzelbildern fotografiert sie das Leben und die Menschen in der DDR, später in New York, Berlin, Moskau und auf ihren zahlreichen Reisen.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Bildzauber
Für ihr Lebenswerk erhält Helga Paris 2004 den Hannah-Höch-Preis und 2019 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. In der Laudatio wird ihren Fotos ein „berührender Bildzauber“ attestiert. Gerade die Halle-Serie weise die Autodidaktin Helga Paris als „Chronistin der Zeit“ aus.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Spannungsvolle Mischung
Die in der Großen Märkerstraße in Halle (Saale) aufgenommene Komposition aus zentraler Bildfigur und zulaufender Straßenflucht zeugt von besonderem fotografischem Geschick. Im Erkennen und Festhalten der spannungsvollen Mischung aus Mantel, Feder und Hut zeigt sich zudem Paris‘ Blick als studierte Modedesignerin und Dozentin für Kostümkunde.
Aus der Serie Häuser und Gesichter in Halle, 1983 – 1985
Stadt im Wandel
„Unsere Diva ist dick geworden“, fasst der Grafikdesigner und gebürtige Hallenser Helmut Brade 2005 die Wandlung des einst grauen Industrieorts zur modernisierten und restaurierten Universitätsstadt humorvoll zusammen. „Grau ist sie gar nicht mehr. Sie ist raffiniert geschminkt und geliftet. Sie ist weit gereist. Ihre Augen haben Bali und die Karibik gesehen, sie ist nach telefonischer Voranmeldung zu erreichen, sie spricht englisch, heizt umweltbewußt sparsam und hat ihre graue Vergangenheit fast schon vergessen."