Öl auf Hartfaser
60,5 x 73 cm
Copyright Werk: Nachlass Hermann Bachmann
Copyright Foto: Klaus E. Göltz
Mohn vor der Reife, 1950/52
Wichtiger Künstler
Hermann Bachmann ist nach 1945 einer der wichtigsten Künstler im damals künstlerisch liberalen Halle. Er setzt seine autodidaktischen Studien fort und avanciert schnell zu einem viel beachteten Maler mit zahlreichen Ausstellungen. So nimmt er an den ersten freien Ausstellungen im Jahr 1946 teil: der „Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung“ in Dresden und der ersten „Kunstausstellung der Provinz Sachsen“ in der halleschen Moritzburg, dem Vorläufer der späteren Bezirkskunstausstellungen.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Hallesche Schule
In Auseinandersetzung mit den Vertretern der klassischen Moderne vor 1933 findet Bachmann sehr schnell zu einem eigenen Stil. Er wird von älteren Kollegen wie Karl Hofer oder Max Pechstein geschätzt und ist bei gleichaltrigen Künstlerfreunden anerkannt, die seinen Stil in Teilen auch aufnehmen. Das auffälligste Merkmal seiner Malerei dieser Zeit ist die Variation von Grautönen. Der Künstler beschreibt den Farbton als „gedämpftes Licht einer trüben Sicht“. Diese Grautöne kennzeichnen bis in die 1950er Jahre die in Halle entstandenen Werke und damit die sogenannte Hallesche Schule.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Klein flammendes Rot
„Mohn vor der Reife“, hört man zunächst nur diesen Titel sieht wohl jeder vor seinem inneren Auge ein sommerliches Mohnblumenfeld – in ein tiefes Rot getaucht. Anders auf Bachmanns Gemälde! Auf seinem Feld finden sich ausschließlich weiße Mohnblüten im Stadium des Übergangs von der Blüte zum Fruchtstand: manche Pflanzen blühen noch, andere haben ihre Blütenblätter schon verloren und zeigen nur noch die Mohnkapseln.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Traumatische Erinnerungen
Hermann Bachmann verbindet mit dem Motiv des Mohnfelds keine Erinnerungen an warme Sommertage: Während seines Kriegseinsatzes als Soldat an der Ostfront muss er sich mit seinen Kameraden immer wieder in Mohnfeldern verstecken. Seine traumatischen Erlebnisse verarbeitet er in seinen Mohnbildern. Zwischen 1948 und 1952 gestaltet er das Motiv in etwa 20 Gemälden.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Gebrochen
Eine einzige Mohnpflanze ragt nicht senkrecht gen Himmel, sondern liegt gebrochen quer in der Bildmitte. Wohl schon abgestorben, vertrocknet, hebt sie sich auch farblich von den anderen Pflanzen ab: als einzige ist sie in Ockertönen gestaltet. Ist der gebrochene Mohn ein Sinnbild für Bachmanns Widerstand gegen die staatlichen Anfeindungen, denen er letztlich mit seiner Übersiedlung nach West-Berlin nachgibt?
Mohn vor der Reife, 1950/52
Heftige Anfeindungen
Bachmann zeigt sein Werk im Winter 1952/53 auf der Bezirkskunstausstellung in der Moritzburg – und löst damit heftige Anfeindungen aus. Staatstreue Journalisten und Kulturfunktionäre beschimpfen ihn als „Problematiker“. Sein Mohnfeld sei „nicht nur saft- und kraftlos, sondern ein völlig formales und dekadentes Machwerk eines Menschen, dessen Arbeiten in unseren Kunstausstellungen nichts mehr zu suchen haben“, so das Urteil von Ausstellungsbesuchern in der Lokalzeitung „Freiheit“.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Im Visier der Stasi
Bachmanns Kunst ist nicht positiv genug und entspricht nicht den Vorstellungen des staatlich gewünschten Sozialistischen Realismus. Der Maler selbst wiederum formuliert in den Sitzungen des Berufsverbands offen seine Kritik an der rigiden Kulturpolitik der DDR. Die staatliche Agitationsmaschine gegen den „Staatsfeind“ läuft an: Die 1950 gegründete Staatssicherheit setzte inoffizielle Mitarbeiter auf den Maler an, und seine Freunde warnen ihn, dass er und seine junge Familie in der DDR nicht mehr sicher seien. Schon im Februar 1953 verlässt er die DDR für immer. Er geht nach West-Berlin.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Westlicher Kunstbetrieb
In Berlin integriert sich Bachmann relativ schnell in den westlichen Kunstbetrieb. Zwei wichtige Freunde helfen ihm: der Maler Karl Hofer, nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1955 Rektor der Kunsthochschule in Berlin-Charlottenburg, und der Galerist Rudolf Springer. Hofer, der ihn schon in Halle schätzte, verspricht ihm eine Stelle an seiner Hochschule – ein Versprechen, das sich erst 1957, nach Hofers Tod, erfüllt. Auch Rudolf Springer schätzt Bachmann früh und präsentiert ihn schon 1950 in seiner Galerie. 1955 zeigt er eine weitere große Einzelausstellung, der bis zu Bachmanns Tod 1995 weitere folgen.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Repräsentativer Nachlass
Nach seiner Emeritierung 1987 zieht Bachmann nach Karlsruhe-Durlach, Geburtsort seiner Frau Gisela. 2010 wird die „Hermann und Gisela-Bachmann-Stiftung“ am Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) gegründet, die einen repräsentativen Teil seines Œuvres beinhaltet wie auch Werke von Gisela Bachmann, einer Bildhauerin. Damit ist Bachmanns künstlerische Entwicklung in Halle vollumfänglich dokumentiert – von den frühen Jahren bis über die Jahrzehnte in Berlin und Karlsruhe und seiner Entwicklung hin zu großen, farbintensiven Formaten mit abstrakten oder skripturalen Motiven und seinem Spätwerk, in dem er die Auseinandersetzung mit seiner Krankheit thematisiert.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Übriggeblieben
Nach der Republikflucht Bachmanns wird das Werk von den DDR-Behörden sichergestellt. Der Maler hatte die Flucht seiner Familie vorbereitet und zahlreiche Werke in den Wochen zuvor nach West-Berlin transferiert. Dieses Werk, das in der kurz zuvor zu Ende gegangenen Bezirkskunstausstellung in der Moritzburg gezeigt wurde, bleibt dort zurück und geht als beschlagnahmtes Kunstgut eines Republikflüchtigen in den Besitz des Hauses über.
Mohn vor der Reife, 1950/52
Unperson und Staatsfeind
Nach seiner Flucht wird Bachmann in der DDR hochgradig kriminalisiert. So schreibt die Lokalzeitung in Halle am 22. April 1953: „Er trägt durch seinen Dienst im Solde der Kriegstreiber jetzt dazu bei, die Kriegsvorbereitungen weiter voranzutreiben. Er stellt sich somit gegen das Volk […]. […] Das Beispiel Bachmann zeigt, daß (sic) wir noch wachsamer unseren Feinden gegenüber sein müssen.“
Mohn vor der Reife, 1950/52
Wiedergutmachung
Fast genau 40 Jahre nach der Flucht Bachmanns nach West-Berlin und der Beschlagnahme seines inkriminierten Mohn-Bildes wird das Unrecht wieder gut gemacht: 1992 wird das Gemälde an den Künstler restituiert und gleichzeitig von ihm für die Sammlungen des halleschen Kunstmuseums angekauft. Seit 2018 ist es fester Bestandteil des Sammlungsrundgangs „Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert“ und dort in dem in dieser Form einzigartigen Abschnitt „Kunst in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1990“ zu sehen.