Moh Hermanngloeckner Fuenfstrahlen B Minimum

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Unbeirrt abstrakt

„Patriarche de la Moderne en RDA“ schreibt Raoul-Jean Moulin 1976 in der Pariser Zeitung „LʼHumanité“ über Hermann Glöckner. Diese Würdigung als „Patriarch der Moderne in der DDR“ gilt der Unbeirrbarkeit, mit der Glöckner während seines ganzen Lebens seinen Weg zur Abstraktion verfolgt. Seinem künstlerischen Konzept folgt er auch unter den Repressionen der Nationalsozialisten und später in der DDR.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Einmalige Bildobjekte

Quadrattest2

In seinem „Tafelwerk“, einer von ihm entwickelten einmaligen Form von Bildobjekten, sind viele seiner künstlerischen Grundideen versammelt. Die daraus stammende Tafel „Fünf Strahlen, zweimal reflektiert“ ist eine der schönsten und strengsten. Sie gewinnt aus ihrem logisch metrischen Aufbau, der auf der anderen Tafelseite umgekehrt wiederholt wird, eine nahezu kosmisch anmutende Klarheit. Vorder- und Rückseite sind gleichermaßen wichtig, die Tafel sollte vom Betrachtenden in die Hand genommen und gedreht werden.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Große Klarheit

Quadrattest2

„Tafelwerk“ nennt Glöckner sein etwa 270 Arbeiten umfassendes Konvolut. Es sind Bildobjekte auf stabilen, sorgfältig bearbeiteten Papptafeln, die beidseitig gestaltet sind. Auf der von Glöckner selbst mit a bezeichneten Seite gehen von einem Punkt in der Mitte der oberen Kante des Bildträgers fünf zarte Strahlen aus, die dreimal spiegelsymmetrisch zu beiden Seiten des mittleren Strahls die Richtung wechseln. Eine Gestaltung von großer Klarheit.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Strahlenverlauf

Bei jeder Spiegelung der Strahlen ändert sich ihre Stärke. Die aus einem Punkt von oben fallenden Strahlen sind noch sehr zart. Bei ihrer ersten Reflexion von der Unterkante nach links verbreitern sie sich etwa um das Doppelte. Bei der zweiten Reflexion nach rechts werden alle Strahlen immer dann um das Doppelte verstärkt, wenn sie den äußeren rechten Strahl der ersten Reflexion kreuzen, um danach ihre Stärke bis zur gegenüberliegenden Kante wieder gleichmäßig auf die zarte Stärke ihres Anfangs zu reduzieren. Assoziationen stellen sich ein: ist es ein im Raum herumirrender Lichtstrahl in unterschiedlichen Brechungen? Und um was für einen Raum handelt es sich?

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Konkrete Kunst

Die Assoziation, dass es sich um einen Lichtstrahl handeln könnte, liegt nahe – doch so vom Künstler nicht beabsichtigt. Er bleibt hier ausschließlich bei dem, womit er die Tafel herstellt: Fläche, deren konstruktive Teilung, Farbe. Die schwarze Fläche will kein Raum sein, sie bleibt eine Fläche, der der Künstler durch die Lackierung und die Aussparung der goldenen Strahlen sogar eine Materialität gibt und auf der sich die Konstruktion der Strahlen abspielt. Das ist ganz im Sinne der konstruktiv-konkreten Kunst, bei der eben der Begriff „konkret“ nur die konkreten Dinge meint, mit denen sie umgeht.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Prinzip der Spiegelung

Beim Auftrag der Farben und in der Zeichnung der Strahlen folgt Glöckner dem Prinzip der Spiegelung. Die Strahlenkomposition wird auf der anderen, mit b bezeichneten Seite der Tafel in umgekehrter Farbgebung und um 180° gedreht wiederholt, sodass die Strahlen diesmal von einem am unteren Rand liegenden Punkt ausgehen. Die herkömmlichen Grenzen bildnerischer Gestaltung hebt der Künstler durch das Einbeziehen der zweiten Seite auf. Es gibt keine Vorder- oder Rückseite, beide Seiten sind gleichwertig. Das „Tafelwerk“, zu dem auch dieses Bild gehört, ist eine originäre Erfindung des Künstlers.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Tag und Nacht

Auf der schwarzen Seite sind die Strahlen mit einer goldenen Farbe unterlegt und leicht vertieft aus dem Farbauftrag ausgespart. Auf der goldenen Seite hat Glöckner die schwarzen Strahlen mit dem Pinsel aufgetragen. So entstehen eine dunkle und eine helle Ansicht der gleichen Komposition, die auch an die Nacht- und Tagseite ein- und derselben Landschaft denken lässt, wie sie etwa der Romantiker Caspar David Friedrich (1774 – 1840) als Transparentbild gemalt hat.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Lineare Muster

Als Musterzeichner für Textilentwürfe ausgebildet, benutzt Glöckner schon in seinen frühen gegenständlichen Arbeiten manchmal Raster und lineare Systeme, die ihm zur Orientierung dienen. Gegenständliche Motive überführt er in Linien. Mehr und mehr entwickelt sich seit 1930 seine Vorliebe für abstrakte Kompositionen. Doch auch gegenständliche Motive kommen weiterhin vor.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Eindrücke aus der Umgebung

In den Sommermonaten hält sich Glöckner mit seiner Frau gern in ländlichen Gegenden auf. Sie wandern, und er fotografiert Natur- und Landschaftsformen, aber auch Architektur. Seinen reduzierten Kompositionen liegen häufig Eindrücke zugrunde, die er in seiner Umgebung findet. Für die lineare Konstruktion der Tafel „Fünf Strahlen, zweimal reflektiert“ ist als Ausgangspunkt der Blick auf die verschachtelten Hausdächer, Häuserfronten und Giebel eines Dorfes auszumachen, deren Dreidimensionalität der Künstler zu einem Liniengefüge reduziert und systematisch ordnet.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Keine Konzessionen

Mit einer ersten Einzelausstellung, die ab 1927 von Berlin aus über verschiedene deutsche Städte tourt und 1931 in Dresden endet, wird Glöckner erstmals in der deutschen Kunstwelt wahrgenommen. Im Nationalsozialismus ist er von Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten weitgehend abgeschnitten und verdient seinen Lebensunterhalt mit künstlerischen Arbeiten an Gebäuden, die er zusammen mit seiner Frau ausführt. Diese Arbeiten sichern seinen Broterwerb auch über lange Jahre hinweg in der DDR, da er keine Konzessionen an die rigiden Vorgaben des Sozialistischen Realismus macht. Bis zu seinem Tod arbeitet er im traditionsreichen Künstlerhaus in Dresden-Loschwitz.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Geheimtipp

Glöckner gilt in der DDR lange als „Geheimtipp“. In der Kunstwelt ist er jedoch bekannt und genießt hohe Wertschätzung. Er beteiligt sich an Gruppenausstellungen vorwiegend mit gegenständlichen Werken und hat nur kleinere, abseits gelegene Einzelausstellungen. Durch die ideologisch geprägte Kulturpolitik der DDR, die die Abbildung der sozialistischen Gesellschaft fordert, bleibt sein abstraktes Werk weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt. Eine erste repräsentative Einzelausstellung in einem namhaften Museum der DDR veranstaltet 1969 aus Anlass seines 80. Geburtstags der damalige Leiter des Dresdener Kupferstichkabinetts, Werner Schmidt, der Glöckner eng verbunden ist.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Anerkennung im Westen

Als Mitglied des Deutschen Künstlerbundes ist Glöckner in Westdeutschland mehrmals in dessen Ausstellungen vertreten, seit den 1970er Jahren dann auch in internationalen Überblicks-Ausstellungen in Ost und West. Als unangepasster Künstler und durch die Qualität seiner Werke bekannt geworden, gelangen seit den 1970er Jahren Arbeiten von ihm in ausländische und westdeutsche Museen. Eine umfangreiche Retrospektive der Nationalgalerie in Ost-Berlin 1979 verschafft seinem Werk endlich auch in der DDR die ihm gebührende öffentliche Anerkennung und Akzeptanz.

Hermann Glöckner (1889 – 1987)

Fünf Strahlen, zweimal reflektiert, um 1932

Große Sammlung

Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) verfügt heute über eine repräsentative Glöckner-Sammlung von etwa 70 Arbeiten, die vor allem durch Ankäufe und Schenkungen aus dem Nachlass zustande kam. So auch die Tafel „Fünf Strahlen, zweimal reflektiert“, die mit Unterstützung des Reichsbahn-Ausbesserungswerks „Ernst Thälmann“, Halle (Saale), zusammen mit weiteren Tafeln, Objekten und anderen Arbeiten 1989 erworben wird.