Moh Karlvoelker Beton Ausschnitt Minimum

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Mächtige Kulisse

Die neuartige Industriearchitektur hält Karl Völker in Bleistift- und Aquarellzeichnungen fest, die ihm als Vorlagen für eine Reihe von Industriebildern dienen. Diese Gemälde zeichnen sich durch ihre sachliche Konstruktion, durch dynamische Perspektiven und geometrische Bauteile aus, die funktional und emotionslos wirken. In dieser Kulisse bewegen sich die Menschen wie Statisten. Hier jedoch fehlen sie ganz - was bleibt, ist der Eindruck einer übermächtigen Architektur.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Weg ins Nichts

Der Blick wird von einem tiefliegenden Standpunkt aus einem dunklen Raum an den Gleisen entlang hinauf ins Helle geführt, zu einer Fabrik im Hintergrund. Ist der Raum eine Halle, die zur Fabrik gehört, oder führt eine Brücke über die Bahngleise? Und wohin gehen die Gleise? Das bleibt unklar, denn der Fluchtpunkt bleibt hinter der schwarzen Wand verborgen.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Neuartiges Baumaterial

Der Maler gibt seinem Bild den nüchternen Titel: „Beton (Fabrik an einer Bahnstrecke)“. Den Blick lenkt er entlang der Gleise und der kahlen braunen Mauer auf das Fabrikgebäude im Hintergrund. Die Einfachheit der Architektur entspricht den modernen funktionalen Bauten, für die sich in Deutschland seit der Jahrhundertwende mehr und mehr der neuartige Baustoff Beton durchsetzt. Ein schnelles und kostengünstiges Baumaterial für Fabrikgebäude, Brücken und tragende Wände.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Erfinder des Stahlbetons

Beton als Baumaterial hat der Franzose Joseph Monier (1823 – 1906) erfunden, der ursprünglich als Gärtner im Pariser Jardin des Tuileries arbeitet und einen haltbaren Ersatz für die hölzernen Pflanzkübel der Orangenbäumchen sucht. Später wird er sich auch die Herstellung von Gebäudeteilen patentieren lassen. Noch haltbarer macht er das Material, indem er Eisen hinzufügt, in Deutschland „Moniereisen“ genannt. Es entsteht der Stahlbeton, der Baustoff für die Moderne. Die Produktion beschleunigt sich durch die effiziente Planung von Fabriken in der Nähe von Verkehrswegen, wie der Eisenbahn.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Architekturprojekte

Völker ist mit dem Baustoff Beton vertraut, denn er beteiligt sich in dieser Zeit gemeinsam mit verschiedenen Architekten an zahlreichen Wettbewerben. Mit dem Architekten Otto Haesler (1880 – 1962), einem Vertreter des Neuen Bauens, arbeitet er in Celle an mehreren städtebaulichen Projekten zum Sozialen Wohnungsbau zusammen. Er versteht sich nicht nur als Künstler, sondern darüber hinaus als Gestalter einer sozialen Wirklichkeit.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Rauchender Schlot

Aus dem Fabrikschlot entweicht, kaum wahrnehmbar, weißer Rauch in den hellen Himmel. Seit 1923 wurde im nahegelegenen Leuna neben dem giftigen Ammoniak auch Methanol großtechnisch aus Synthesegas gewonnen – der Rauch ist zwar weiß, aber keineswegs harmlos. Das Bild von Sauberkeit und Ordnung, das Völker vordergründig zeigt, trägt wie eine schweigende Drohung zerstörerische Auswirkungen in sich. Die Emissionen der Chemiewerke in Mitteldeutschland belasten bis Ende der 1980er Jahre die Umwelt schwer.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Menschenleer

Wie eine Schiffsbrücke erhebt sich der Kontrollraum über die Mauer am Gleisbett. Die beidseitigen Fenster ermöglichen den Blick auf das Gleis und auf die Fabrik. In dieser abweisenden Kulisse arbeiten also tatsächlich Menschen. Sie produzieren Güter und Waren, transportieren sie ab und beaufsichtigen und kontrollieren die Produktion. Sie sind nicht zu sehen, ihre Anwesenheit an diesem Ort ist jedoch spürbar.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Moderne Arbeitswelt

Das Bild ist ganz auf die kubischen Formen der Industriebauten in der Ferne konzentriert. Das macht seine Spannung aus. Es zeigt einen Ausschnitt der modernen Arbeitswelt, die auf wesentliche Elemente reduziert ist. Das Bild strahlt Ordnung, Kontrolle und Produktivität, aber zugleich auch die Anonymität der maschinellen Industrieproduktion aus. Die Architektur, in der Waren produziert werden, ist kalt und starr. Menschen sind nicht zu sehen. Völker erfasst die Entpersönlichung und Unmenschlichkeit der modernen Industrieproduktion in ihrer architektonischen Ausprägung und Leere.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Soziale Kritik

Völker stellt in vielen seiner Werke die Unmenschlichkeit der industriellen Produktion und die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krisen auf die Fabrikarbeiter*innen dar, die zu politischen Unruhen führen. Er ist Mitbegründer des halleschen Arbeitsrates für Kunst und arbeitet für die linken Zeitungen „Das Wort“ und „Klassenkampf“. In zahlreichen Bleistiftzeichnungen, Gemälden und Holzschnitten thematisiert er die Kehrseite der rationalisierten Arbeitsprozesse: Armut, Hunger, Krankheit und Ausweglosigkeit.

Karl Völker (1889 – 1962)

Beton, um 1924

Zentrum der Chemieindustrie

Völker lässt sich von Fabriken in der Umgebung von Halle inspirieren. Noch während des Ersten Weltkrieg gründet die BASF in Leuna das Ammoniakwerk „Badische Anilin- und Sodafabrik, Ammoniakwerk Merseburg“. Es wird zu einem der größten und wichtigsten Chemiebetriebe in Deutschland. Im benachbarten Schkopau entstehen als Tochtergesellschaft ab 1936 die Buna-Werke, die weltweit erste Produktionsstätte von synthetischem Kautschuk. Beide Werke bleiben nach dem Krieg das Zentrum der Chemieproduktion in der DDR und sind bis heute in Betrieb.