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Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Weiblicher Blick

Es ist eines der wenigen Gemälde von weiblicher Hand im Sammlungsbereich der Klassischen Moderne des Museums. Paula Modersohn-Becker malt es 1906, ein Jahr bevor sie im Alter von nur 31 Jahren, kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes, stirbt. Eine Malerin, die ihren Stil früh gefunden hat. Ihr Mann schreibt 1932: „Es ist nicht auszudenken, was noch alles entstanden wäre, wenn sie noch länger gelebt hätte. Sie träumte in den letzten Monaten viel von Italien, das sie nie gesehen, von Akten im Freien, von großfigurigen Bildern. Man kann nur ahnen, was sie der Welt noch geschenkt hätte.“

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Frühes Ende

Nicht nur die Tatsache, dass Paula Modersohn-Beckers künstlerischer Werdegang sehr vielversprechend war, sondern auch die Ahnung, dass sie eine der wenigen Künstlerinnen hätte werden können, der eine Kombination von Familie und Karriere hätte gelingen können, zeigt die Dimension dieses frühen Lebensendes. Trotz ihrer jungen Jahre hinterlässt sie etwa 750 Gemälde, 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Schwerer Stand

Erst seit 1919 dürfen sich Frauen in Deutschland an Kunstakademien einschreiben. Bis dahin können sie lediglich – zumeist kostspielige – private Kunstschulen besuchen, deren Ausbildungsangebot jedoch nicht mit dem der Akademien vergleichbar ist. Um 1900 werden kunstschaffende Frauen abschätzig „Malweiber“ genannt: Dilettantinnen, die sich nur der Malerei zuwenden, bis sie ihr Ziel und ihre eigentliche Bestimmung, die Gründung einer Familie, erreichen. Modersohn-Becker, die schon seit ihrem 16. Lebensjahr Malerin werden will, hat Glück: Ihre Familie und ihr späterer Ehemann, der Maler Otto Modersohn, unterstützen sie.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Suche nach Neuem

Otto Modersohn (1865 – 1943) bricht Ende 1905 mit der Kunst seiner Frau: Er klagt, dass sie seinen Rat nicht mehr annähme und bezeichnet ihre Malerei als „hochkoloristisch“ und „unmalerisch“. Außerdem findet er ihre Faszination für „primitive“ Malerei fragwürdig. Modersohn bleibt als Landschaftsmaler den dunklen, gedeckten Farben verhaftet, seine Frau jedoch sucht nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Sie reist in der Folge mehrmals für längere Zeit nach Paris, den Ort ihrer künstlerischen Sehnsüchte. Hier besucht sie Museen, knüpft Kontakte zu Künstlern und Künstlerinnen, nimmt Zeichenunterricht und genießt das Leben in der Großstadt.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Pariser Aufenthalt

Sind es Wildblumen aus der ländlichen Umgebung Worpswedes, deren Ursprünglichkeit und Einfachheit so vielen Künstlerinnen und Künstlern Inspiration und Motiv ist? Nein. Das Gemälde entsteht in Paris, wo Modersohn-Becker sich von Februar bis Oktober 1906 aufhält. Ihr Mann finanziert ihr den Aufenthalt, der ihr in Begegnungen mit zeitgenössischen Kunstrichtungen und den Kunstsammlungen der großen Museen eine produktive Schaffensphase beschert.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Fasziniert vom Natürlichen

In Paris ist es ein Leichtes, sich prachtvoll arrangierte Blumenbouquets zu besorgen. Doch Paula Modersohn-Becker wählt während ihres mehrmonatigen Aufenthalts in der Metropole wilde, in einer einfachen, blauen Keramikvase lose zusammengestellte Blumen. Sie ist fasziniert von natürlicher Schönheit, das zeigt sich auch in ihren Porträts und Menschendarstellungen.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Schmetterlinge am Fenster

Der Kunsthistoriker Georg Biermann schreibt 1922 in der Zeitschrift „Der Cicerone“ einen Kommentar zum Gemälde. Seine Erklärung für die flatternden Schmetterlinge ist zwar im Nachhinein nicht zu belegen, aber sehr schön: so habe Modersohn-Becker die Blumen bei einem Spaziergang außerhalb von Paris auf einer Wiese mit unzähligen bunten Schmetterlingen gepflückt. Kurz nachdem sie den Strauß in eine Vase ans geöffnete Fenster ihres Ateliers gestellt habe, seien – angezogen vom starken Duft der Blumen – zahlreiche Schmetterlinge angeflogen gekommen. Die Künstlerin holt sich die Natur in ihr großstädtisches Atelier und hält sie fest.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Verschollen

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Bis 1937 besaß das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) ein zweites Gemälde Modersohn-Beckers: ein um 1903 entstandener, hochformatiger „Weiblicher Akt, auf einem Stuhl sitzend“. Es fällt mit 146 anderen Gemälden und Grafiken der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Über Bernhard A. Böhmer, einen der vier mit der Verwertung „entarteter Kunst“ beauftragten Kunsthändler, lässt sich die Spur des Bildes bis 1950 verfolgen. Doch das Werk bleibt bis heute verschollen.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Der übersehene Blumenstrauß

Von den 147 im Jahr 1937 durch die Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmten Werken der Moderne des Kunstmuseums konnten bis heute 17 für die Sammlungen zurückerworben werden, darunter wichtige Arbeiten von Lyonel Feininger, Emil Nolde, Erich Heckel und Wassily Kandinsky. 70 befinden sich in öffentlichen oder privaten Sammlungen in Europa, den USA und Japan. Alle übrigen wurden zerstört oder gelten bis heute als verschollen. Obwohl Modersohn-Becker als „entartete Künstlerin“ gebrandmarkt wurde, ist ihr „Feldblumenstrauß“ durch das Raster der Beschlagnahmungen gefallen. Vielleicht bot ein Blumenstrauß keinen Stein des Anstoßes.

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Seelenverwandte

In der Künstlerkolonie im norddeutschen Worpswede lernt Paula Modersohn-Becker neben ihrem späteren Mann im Jahr 1900 auch Rainer Maria Rilke kennen. Es ist mehr als nur eine Freundschaft, sie verbindet eine Seelenverwandtschaft. Ein Paar werden sie nicht. Der Dichter ist einer der ersten, der den eigenständigen Wert und das Zukunftsweisende ihrer Arbeiten wahrnimmt und versteht. Im Jahr 1906, als Modersohn-Becker den Feldblumenstrauß malt, wohnen sie in derselben Pension in Paris, wohin es beide immer wieder zieht. Rilke beschreibt sie damals als „rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die noch nie einer sehen und malen konnte.“

Paula Modersohn Becker (1876 – 1907)

Feldblumenstrauß, 1906

Requiem für eine Freundin

Ein Jahr nach dem frühen Tod der Malerin schreibt Rilke im herbstlichen Paris 1908 sein berührendes, langes und ehrerbietiges „Requiem für eine Freundin“: „Denn das verstandest du: die vollen Früchte./ Die legtest du auf Schalen vor dich hin / und wogst mit Farben ihre Schwere auf./ Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun / und sahst die Kinder so, von innen her / getrieben in die Formen ihres Daseins.“ Besser ist die Kunst Modersohn-Beckers kaum in Worte zu fassen.