Öl auf Leinengewebe
150 x 236,50 cm
Copyright am Werk: VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Copyright Foto: Klassik Stiftung Weimar
Foto: Renno, im Auftrag der KSW angefertigt
Junge Männer am Meer, 1905
Seiner Liebsten
Diese Widmung, abgekürzt für „Herr Beckmann seiner Liebsten“, richtet sich an die Künstlerin Minna Tube, die zu den ersten Kunststudentinnen zählte, die ab 1902 an der Weimarer Kunstschule studieren konnten. Hier lernt Beckmann sie kennen, der bereits im Juni 1900 probeweise in Weimar aufgenommen worden ist. Der Plan eines gemeinsamen Studienaufenthalts in Paris scheitert zwar, doch bietet die Verleihung des renommierten Villa-Romana-Preises, der mit einem Stipendium für Florenz verbunden ist, den äußeren Anlass zur Hochzeit des Paares 1906. Harry Graf Kessler zeigt sich außerdem so beeindruckt von Beckmanns Bild, dass es direkt für die beachtliche Summe von 6.000 Mark für das Großherzogliche Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar angekauft wurde.
Junge Männer am Meer, 1905
Jünglinge wie Statuen
Während seines Parisaufenthalts 1903/04 setzte Beckmann sich mit den Werken der Impressionisten, vor allem Cézannes, aber auch mit den neuesten postimpressionistischen Tendenzen auseinander. Zahlreiche Skizzen belegen, dass er hier bereits konzeptionell an einer großen Figurenkomposition arbeitete, die erst nach seiner Rückkehr nach Berlin 1905 vollendet wurde. In seinem ersten großformatigen Bild will er die impressionistische Formauflösung durch eine strenge, friesartig angelegte Komposition zu überwinden.
Junge Männer am Meer, 1905
Der Rest vom Fest
Interessant ist, dass Beckmann ursprünglich ein thematisch aufeinander bezogenes Doppelbild plante, d.h. eine Art Diptychon mit einem Jünglings- und einem Mädchenreigen am Meer, in dem Musik und Tanz als Ausdruck eines dionysischen Lebensgefühls im Sinne der Philosophie Nietzsches eine Rolle spielen sollte. Letztlich konzentrierte Beckmann sich auf das Jünglingsthema. In der klaren Anordnung der sechs männlichen Aktfiguren, in unterschiedlichen Haltungen auf einer schmalen Raumbühne im Vordergrund stehend, vermittelt das Gemälde einen nahezu klassizistischen Eindruck. Nur noch der knabenhafte Junge mit einer Flöte am rechten Bildrand erinnert an das ursprüngliche Tanzthema.
Junge Männer am Meer, 1905
Nordisches Meer
Die Szenerie, eingetaucht in ein graues Licht, ist eindeutig als nördlich zu identifizieren. Aus dem Westen kommen bedrohlich dunkle Wolken, ein Gewitter scheint aufzuziehen. Tatsächlich ist Beckmann hier von früheren Aufenthalten auf der Nordseeinsel Amrum und von der Ostsee, zu der er im Sommer und Herbst 1904 von Berlin aus reist, inspiriert. Faszination für die beiden nördlichen Meere könnte auf den Einfluss seines Weimarer Lehrers, den norwegischen Maler Carl Frithjof Smith, zurückzuführen sein. Zudem war er Edvard Munch in Paris begegnet und kannte dessen Hauptwerk dieser Zeit, den „Fries von Lebensbildern“.
Junge Männer am Meer, 1905
Nietzsche und der Kampf
Auffällig ist die strenge parallele Reihung der bildfüllenden Figuren im Vordergrund auf der schmalen Bühne des Strandes, während die eigentlich Bildmitte ausgespart ist und einen tiefen perspektivischen Blick auf das Meer eröffnet. Man sieht spielerisch-kämpfende Gestalten am Strand, einige Badende im Meer und auch einige Schiffe am hochgelegenen Horizont. In den miteinander ringenden jungen Männern deutet sich das Motiv des Kampfes an, das Beckmann in seinen Gemälden in Auseinandersetzung mit der Philosophie Nietzsches bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs intensiv beschäftigt.
Junge Männer am Meer, 1905
Sehnsucht nach Freiheit
Als Gegenstück zu Beckmanns herbem, in Grau- und Ockertönen gehaltenen frühen Meisterwerk lässt sich das monumentale Gemälde des belgischen Künstlers Theo van Rysselberghe „Badende Frauen“ von 1897 sehen. Dieses Bild war 1903 auf der 1. Neoimpressionisten-Ausstellung von Kessler im Großherzoglichen Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar ausgestellt gewesen. Auch dieses Werk konnte Kessler für sein Museum erwerben und ist heute zusammen mit Beckmanns Gemälde in einem Saal des Museum Neues Weimar zu sehen. Es zeigt eine Gruppe von jungen Frauen mit langem Haar, in antikischer Nacktheit im Mittelmeer badend oder am Strand sitzend, beleuchtet von dem goldenen Licht der untergehenden Sonne und die ideale Harmonie von Mensch und Natur verkörpernd. Hier – in der südlichen Landschaft des Mittelmeers –, wie dort – in der nördlich-herben Landschaft der Ostsee – geht es nicht zuletzt um Freiheitssehnsüchte, um Vorstellungen einer Utopie.