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Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

Badende im Raum, 1909-1910 / nach 1926

Leben jenseits der Norm

Zusammen mit seinen Künstlerfreunden und Modellen ließ Kirchner in seinen Ateliers der 1910er Jahre eine Welt erstehen, die sich als radikaler Gegenentwurf zu den konservativen Idealen der wilhelminisch geprägten Gesellschaft verstand. Das Atelier ist nicht nur Ort der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk, sondern zugleich ein Biotop, in dem das Künstlerkollektiv der frühen „Brücke“-Jahre neue Lebensformen und neue Wege und Inhalte der Kunst zu verwirklichen wollte.


Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

Badende im Raum, 1909-1910 / nach 1926

Inspiration Südsee und Afrika

Das Atelier in der Berliner Straße 80 hatte Kirchner mit eigenhändig gefertigten Möbeln und Textilien ausgestattet. Ihr exotischer Geist zeigt seine tiefgreifenden Faszination für die außereuropäischen Kulturen. Mit der Hinwendung zur Kunst der Naturvölker verband sich die Sehnsucht nach freien, unverfälschten Lebensformen. Zudem fanden sich hier Parallelen zum eigenen angestrebten Stil: vereinfachte, ausdrucksvolle Formen und eine leuchtende, vom Naturvorbild unabhängige Farbigkeit. Exotische Motive fanden vor diesem Hintergrund zunehmend Aufnahme in die Werke der „Brücke“-Künstler, die ihre Anregungen aus Büchern, aus Ausstellungen ethnologischer Museen, im Zirkus sowie bei den beliebten Völkerschauen fanden.

Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

Badende im Raum, 1909-1910 / nach 1926

Aus alt mach neu

Das Gemälde ist in seiner heutigen Fassung – wie viele Ölbilder Kirchners aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – das Ergebnis einer späteren Übermalung. Die frühen Leinwandgemälde wurden zusammengerollt gelagert und in den 20er Jahren von Kirchner selbst restauriert und überarbeitet. Dies führte vielfach zu weitreichenden Veränderungen ihres ursprünglichen Charakters. In Badende im Raum, zunächst mit „Bacchanale im Raum“ betitelt, änderte Kirchner nicht nur die Gesamtfarbigkeit des gezeigten Interieurs, sondern gab auch sämtlichen Akten eine neue Hautfarbe – ablesbar etwa an dem stehengebliebenen rosa Farbbereich der sich frisierenden Frau vor dem Spiegel. Das rätselhaft schwebende Gesicht neben ihrem Oberarm ist das Überbleibsel eines ganzfigurigen Männerakts, das ein Selbstporträt Kirchners war.

Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

Badende im Raum, 1909-1910 / nach 1926

Paradiesische Verführung

Die erotische Atmosphäre der Atelierszene bestimmen nicht nur die lasziven Nackten allein. In dem sitzenden Modell mit einem Apfel in der Hand klingt – mit Blick auf Eva und die Schlange im Paradies – das Verführungsmotiv schlechthin an. Über dem Kopf der Sitzenden erscheint vor dem großen Wandspiegel die von Kirchner selbst geschaffene Skulptur eines Paares im Liebesakt. Und auch die Rundbilder des Vorhangs, den der rosa Akt im linken Bildbereich öffnet, enthalten explizit erotische Darstellungen. Zudem scheint das zurückblickende Modell die übermalte männliche Figur rechts verführerisch heranzuwinken.

Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938)

Badende im Raum, 1909-1910 / nach 1926

Gebortsort des Expressionismus

Mit Ernst Ludwig Kirchners monumentaler Atelierszene Badende im Raum besitzt die Moderne Galerie eines der Haupt- und Schlüsselwerke des deutschen Expressionismus.
Die vielschichtige Darstellung hat Kirchners Wohnatelier der Jahre 1909-11 in der Dresdner Friedrichstadt zum Thema. Dieser unkonventionell gestaltete Lebens- und Arbeitsraum, in dem eine Fülle maßgeblicher „Brücke“-Werke entstand, gilt als eine der Geburtsstätten der neuen Kunstrichtung.