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Artemisia Gentileschi (1593 – 1654)

Tarquinius und Lukretia, um 1630

Das zweite Gesicht

Nach 250 Jahren in der Oberen Galerie des Neuen Palais wurden die beiden Gentileschi-Gemälde 2019 erstmals aus der Wandvertäfelung ausgebaut. Für die Ausstellung „Wege des Barock“ im Potsdamer Museum Barberini wurden sie mit modernen Techniken sorgfältig untersucht und gereinigt. Dabei wurden bei „Lukretia“ Veränderungen während des Malprozesses durch die Künstlerin ebenso sichtbar wie Übermalungen einer früheren Restaurierung. Zu den übermalten Partien gehörte das Gesicht des Tarquinius, das jetzt wieder in seiner ursprünglichen Fassung zu sehen ist. Die jüngste Restaurierung gab dem Gemälde auch eine leuchtende Farbigkeit zurück.

Artemisia Gentileschi (1593 – 1654)

Tarquinius und Lukretia, um 1630

Es gibt kein Entrinnen

Ein dramatischer Moment in beklemmendem Naturalismus: Der römische Königssohn Tarquinius stürzt mit wehendem Mantel und gezücktem Dolch auf die nackte Lukretia zu und wirft sie offenbar auf das Bett. Mit einer Hand stützt sie sich ab, mit der anderen versucht sie den Dolch abzuwehren. Seine Hand auf ihrem Knie lässt die nächste gewaltsame Handlung erahnen. Das Bild thematisiert die erpresserische Begierde des Tarquinius, die Lukretia nur die Wahl lässt zwischen Vergewaltigung oder Tod.

Artemisia Gentileschi (1593 – 1654)

Tarquinius und Lukretia, um 1630

Schauspiel und Historie

Für die gemalte bühnenreife Szene zieht ein Diener den Vorhang beiseite. Auch für ihn war eine Rolle in diesem grausamen Spiel vorgesehen: Sollte sich Lukretia verweigern, würde Tarquinius auch einen ihrer Sklaven töten, beide Leichen nebeneinander legen und so vortäuschen, sie habe mit diesem ihren Ehemann betrogen. Lukretia, Heldin der römischen Sage, unterwirft sich, berichtet Ehemann und Vater von der Tat, bittet diese, ihre Schande zu rächen – und sticht sich ein Messer ins Herz. Das empörte römische Volk erhebt sich gegen die tyrannischen Tarquinier. Der Aufstand führt zum Ende der Monarchie und der Einführung der römischen Republik.

Artemisia Gentileschi (1593 – 1654)

Tarquinius und Lukretia, um 1630

Außergewöhnliche Künstlerin

Artemisia war die einzige Tochter des Malers Orazio Gentileschi, einem Freund Caravaggios. Beim Vater erhielt sie den ersten Unterricht. Von ihrem nächsten Lehrer wurde die 18-Jährige vergewaltigt. Bei einem Aufsehen erregenden Prozess gegen den Peiniger glaubte ihr das Gericht erst, als sie unter der Folter bei der Wahrheit blieb. Danach begann ihr künstlerischer Aufstieg. In Florenz wurde sie als erste Frau in die Kunstakademie aufgenommen. Sie arbeitete in Rom, Venedig, Neapel und London für Europas Adelshöfe. Ihre Bildthemen waren biblische, mythologische, historische Motive und außergewöhnliche Frauen. Heute schätzt man an ihr die Unmittelbarkeit, mit der sie aus weiblicher Perspektive Gewalt, Leid und Selbstzweifel darstellt.

Artemisia Gentileschi (1593 – 1654)

Tarquinius und Lukretia, um 1630

Moralisches Lehrstück

Friedrich der Große interessierte sich beim Aufbau seiner Gemäldesammlungen weniger für die Maler als für die Bildthemen. „Tarquinius und Lukretia“ thematisiert, ähnlich wie „Bathseba im Bade“, dass triebhaftes Verhalten, hervorgerufen durch die Schönheit unbekleideter Frauen, zu Gewalttaten führen kann. Der Saal mit den italienischen Gemälden grenzte an die Wohnung seines Neffen und Thronfolgers, dessen Lebenswandel dem König nicht gefiel. Diese Platzierung könnte deshalb auch verstanden werden als Mahnung an den späteren König Friedrich Wilhelm II., ein tugendhaftes Leben zu führen und sich nicht von seiner Triebhaftigkeit leiten zu lassen.