Öl auf Leinwand
Höhe: 146 cm; Breite: 147 cm
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Wolfgang Pfauder
Die Briefsieglerin, 1733
Schlüsselwerk für Chardins Genremalerei
Die „Briefsieglerin“ erfasst eine intime Szene zwischen zwei Menschen, die in einem Herrin-Diener-Verhältnis stehen. Die Frau nimmt in ihrem faltenreichen, silbrig schimmernden Umhang mit blauem Unterkleid, einer „robe volante“, zwei Drittel des Bildes ein. Ein Lichtstrahl erhellt ihr Gewand und ihr im Profil gezeigtes Gesicht. Weniger Licht fällt auf das Gesicht des Mannes, die Farbe seines hoch geknöpften Mantels mit breitem Kragen hebt sich nur leicht vom dunklen Bildhintergrund ab.
Die Briefsieglerin, 1733
Stille Szene, detailgenau erzählt
Chardins Kunst lebt von der Perfektion bis ins Detail, von kleinsten Elementen und Regungen, von sorgfältiger Kombination und scheinbarer Einfachheit. Alle Objekte, die der dargestellten Handlung dienen, konzentrieren sich auf dem Tisch zwischen den beiden Figuren. Tintenfass und Schreibfeder werden schon nicht mehr gebraucht. Jetzt geht es um das Versiegeln des gefalteten, strahlend weiß hervorgehobenen Briefs. Die Frau hält in der rechten Hand einen roten Siegellackstab, während der Diener eine Kerze entzündet. Sie ist im Begriff, den Lack zum Schmelzen bringen, der dann auf den Brief tropft und mit dem kleinen silbernen Siegel auf dem Tisch verschlossen wird. Der Diener wird den Brief anschließend dem Empfänger überbringen.
Die Briefsieglerin, 1733
Eine steile Karriere
Jean-Siméon Chardin, 1728 als Genre- und Stilllebenmaler in die Königliche Akademie der Malerei und Skulptur in Paris aufgenommen, erreichte 1752 den Höhepunkt seiner Karriere mit der Anerkennung durch den französischen Hof, gefolgt von regelmäßigen Zahlungen. 1770 wurde er zum Ersten Maler des Königs berufen.
Die Briefsieglerin, 1733
Modell und Mobiliar
Chardin war ein genauer Beobachter seiner Umgebung. Im Nachlassverzeichnis seiner früh verstorbenen Frau Marguerite Saintard (1709-1735), die das Modell für die „Briefsieglerin“ war, fanden sich unter anderem „ein Sessel aus lackiertem Holz mit Rohrgeflecht, ein Tisch aus Eichenholz, darauf ein großer türkischer Teppich“ – Ausstattungsstücke, wie sie auf dem Gemälde zu sehen sind. Der Teppich wurde anhand des Musters auf der Falte rechts unten als osmanischer Gebetsteppich identifiziert: Es bildet die Basis einer schlanken Säule, die sich im Rautenband fortsetzt.
Die Briefsieglerin, 1733
Neuer Blick auf die Briefsieglerin
Zwischen 1999 und 2003 wurde die „Briefsieglerin“ in mehreren Phasen und mit unterschiedlichen Methoden einer gründlichen Untersuchung und einer daraus folgenden Restaurierung unterzogen. So konnten die Veränderungen gegenüber dem Originalzustand des Bildes sowohl im Arbeitsprozess des Künstlers als auch durch spätere Restaurierungen geklärt werden. Mit Hilfe von Fluoreszenzmessungen, einem zerstörungsfreien physikalisch-chemischen Analyseverfahren, wurden die zahlreichen Farbpigmente identifiziert. Dabei ließ sich nachweisen, dass Chardin, anders als seine Zeitgenossen, das goldgelbe Auripigment, ein schönes, aber giftiges Mineral, zum „Anfeuern“ von grünen, blauen und braunen Stoffpartien bewusst einsetzte. Die Farbbrillanz zeigt sich vor allem am Gewand der Briefsieglerin.
Die Briefsieglerin, 1733
Ein Rätsel bleibt
Wo legt der Hund am unteren Bildrand seine Vorderläufe ab? Die Armlehne des Sessels kann es nicht sein, auch nicht das rechte Bein der Briefsieglerin, deren Sitzhaltung auf dem Sessel wegen der Stofffülle ihrer Kleidung nicht deutlich zu erkennen ist. Es sind gerade diese kleinen Rätsel oder Uneindeutigkeiten, die den besonderen Reiz in Chardins Bildern ausmachen.