Smh Munch Edvard Weiblicher Halbakt Das Biest Minimum

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Haar der Medusa

Der vorwiegend in dunklen Blautönen gehaltene flächige Hintergrund betont die helle weiche Körperlichkeit der ausschnitthaft ins Bild gerückten Aktdarstellung. Von einer medusenhaften dunklen Mähne umrahmt, fixiert die Frau ihr Gegenüber mit einem eindringlichen provozierenden Blick. Munch verleiht der Darstellung so einen dämonisch erotischen Ausdruck – zwischen Verlockung und Abgrund.

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Sinnliches Wechselspiel

Ihre schonungslose Nacktheit präsentiert die junge Frau selbstbewusst. Sie will ihr Gegenüber verführen und zugleich herausfordern. Es ist ein Spiel um die Macht im Geschlechterkampf, das sie mit den Waffen einer Frau führt. Wie alle Bilder Munchs hat auch dieses eine tiefere biografische Bedeutung: er kennt sein Modell, es ist seine Geliebte. So zeigt das Bild das Wechselspiel zwischen der Nähe von Maler und Modell und einer verallgemeinernden, symbolischen Darstellung.

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Madonna oder Vamp

Munch bringt das zutiefst ambivalente Verhältnis von Mann und Frau zum Ausdruck, so wie er es empfindet. Seine subjektiv männliche Erfahrung und Sichtweise ist Ausgangspunkt der Darstellung. Diese Frau kann Madonna sein, dann ist sie ein Lebenselixier und Sehnsuchtsmotiv – darauf deutet die sonnengelbe Farbfläche hinter ihrem Kopf hin. Doch sie kann auch Züge eines Vampirs zeigen und für Sünde, Verzweiflung und Ängste stehen. Es ist ein Sujet, das den Künstler von der Jahrhundertwende bis in 1920er Jahre immer wieder beschäftigt.

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Die selbstbewusste Frau

„Ich habe in einer Übergangszeit gelebt“, schreibt Munch. „Da war die Frau, die verführt und lockt und den Mann betrügt (…). In der Übergangszeit wurde der Mann der Schwächere.“ Mit „Übergangszeit“ meint Munch das erstarkende Selbstbewusstsein der Frauen um die Jahrhundertwende und das In-Frage-Stellen der sexuellen Moral der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit.

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Komplizierte Liebesbeziehung

Der biografische Hintergrund des Bildes ist eine komplizierte Liebesbeziehung zu Tulla Larsen, der unabhängigen Tochter eines reichen norwegischen Weinhändlers. Sie ist sechs Jahre jünger als er und bewegt sich wie Munch im Kreis der literarischen und künstlerischen Avantgarde dieser Zeit. Als es 1902 zu einem Streit kommt, dem die endgültige Trennung folgt, löst sich ein Schuss, der Munch ein Glied seines linken Mittelfingers abreißt und ihn in eine tiefe Nervenkrise stößt. Diese psychologisch und körperlich schmerzhafte Erfahrung beschäftigt ihn in zahlreichen Darstellungen und ist prägend für sein nicht einfaches Verhältnis zu Frauen.

Edvard Munch (1863 – 1944)

Weiblicher Halbakt; Das Biest, 1902

Protagonist der Moderne

Munch hat schon zu Lebzeiten großen Einfluss auf die Malerei. Junge Künstler vor dem Ersten Weltkrieg begegnen seinen Werken in zahlreichen Ausstellungen, auch in Deutschland. Die Künstler des expressionistischen Kreises „Die Brücke“ in Dresden sind ebenso begeistert wie die Mitglieder des „Blauen Reiter“ in München. Er gilt als ein Bahnbrecher der Malerei im 20. Jahrhundert und als einer der Vorreiter des Expressionismus. Und gerade das Schöpfen seiner Kunst aus der individuellen Biografie und das Bekenntnis zu einer radikalen Subjektivität machen ihn zu einem Protagonisten der Moderne.